Phytotherapie - Gesundheit aus der Natur ...

...die Wurzeln der Pflanzenheilkunde

Phytotherapie ist die Lehre von den Heilpflanzen. Sie werden seit Menschengedenken zur Heilung von Krankheiten und Beschwerden in allen Kulturen genutzt. Im 20. Jahrhundert führte der französische Arzt Henri Leclerc (1870 bis 1955) den Begriff «Phytotherapie» ein. Die moderne Phytotherapie ist die naturwissenschaftliche Fortsetzung der Heilkunde früherer Zeiten.

Die Pflanzenheilkunde ist so alt wie die Geschichte der Menschheit selbst. Pflanzen wurden nicht nur als wesentlicher Bestandteil für die Ernährung, als Bau- oder Bekleidungsmaterial, sondern auch zu medizinischen Zwecken für Mensch und Tier genutzt. Bereits die alten Ägypter kannten um das Jahr 2500 vor Christus über siebenhundert verschiedene Arzneistoffe, Rezepturen sowie deren Anwendungsgebiete. Erste Hinweise hierfür finden sich in der Schriftrolle des Papyrus Ebers aus der Zeit um 1500 vor Christus. Das Schriftstück wird heute in der Universitätsbibliothek Leipzig aufbewahrt. Zudem förderte der altägyptische König Ramses II (um 1303 v. Chr. bis 1213 v. Chr.) in seinem Reich die Pflanzenheilkunde. Dort war jeder Arzt für nur eine bestimmte Krankheit zuständig. Darüber hinaus spielten in der altägyptischen Hochkultur Heilpflanzen und Heilkräuter als Grabbeigaben eine wichtige Rolle, sie begleiteten die Toten auf ihrer Reise ins Jenseits. Bei den Ägyptern standen vor allem Schlafmohn, Rizinus, Lein, Lilie, Granatbaum, Koloquinte und Tollkirsche hoch im Kurs. Auch den Juden war die Wirkung vieler Heilkräuter nicht unbekannt - ihre religiösen Gesetze enthalten eine Vielzahl an Überlieferungen von den Ägyptern. So beinhaltet zum Beispiel der Bibelspruch: «Besprenge mich mit dem «Hysop» (Ysop), und ich bin rein...», das ausgeprägte Bedürfnis nach Hygiene und Reinheit. Noch heute werden viele Kräuter zum Passahfest gegessen, um den Körper einer Reinigung zu unterziehen. Im Laufe der Zeit kam es zu Übergängen des Erfahrungsschatzes von einem Volk zum anderen.

Pflanzenheilkunde in der Antike

Die Ursprünge der Traditionellen Europäischen Medizin liegen in der griechischen und römischen Antike. Der Arzt und Pharmakologe Dioskurides hat im ersten Jahrhundert nach Christus das wohl bedeutendste Kräuterbuch «De Materia Medica» der griechischen Antike verfasst. Diese Materia Medica, die aus fünf Bänden bzw. Büchern besteht, hatte einen starken Einfluss auf die europäische Medizin. Auch Hippokrates (um 460 vor Christus auf der griechischen Ägäisinsel Kos; gestorben um 370 vor Christus in Larisa, Thessalienum) zählt zu den bekanntesten Ärzten der Antike. Seine Schriftensammlung «Corpus hippocraticum» wurde nach ihm benannt. In dieser Sammlung sind verschiedene pflanzliche Anwendungen beschrieben, die zur Heilung von Krankheiten beitragen. Seine Sichtweise hinsichtlich der Behandlungsmethoden war bereits ganzheitlich orientiert, er integrierte schon damals die Umstellung ungesunder Lebenweisen oder auch Diäten in sein Konzept. Der berühmte «Hippokratische Eid», den Ärzte noch heute am Ende ihrer Ausbildung ablegen müssen, geht auf ihn und seine Schüler zurück. Theophrastos von Eresos (371 bis 287 vor Christus), Schüler von Aristoteles, war zu seiner Zeit ein großer Naturforscher und Philosoph. Er schrieb auf der Insel Lesbos Abhandlungen über die verschiedensten Heilkräuter. In seinen Schriften, «Ursachen des Pflanzenwuchses» und «Geschichte der Pflanzen», gab er bereits detaillierte Anweisungen zum Einsatz und über die Wirkungen von Pflanzen. Der griechische Arzt Diokles von Karystos - der den Beinamen «Zweiter Hippokrates» trug, schrieb im vierten vorchristlichen Jahrhundert ein Kräuterbuch, das zu den ältesten Aufzeichnungen zählt. Und auch in den alten griechischen Sagen begegnet man häufig Beschreibungen und Anwendungen von Kräutern. So wurde etwa das Tausengüldenkraut als «Centaurium» benannt, was auf den thessalischen Centaur Chiron zurückgeht.

Kohl gegen den verflixten Kater

Der Römer Gajus Plinius Secundus - auch Plinius der Ältere genannt - (23 bis 79 nach Christus) beschreibt in seiner Naturgeschichte «Historia Naturalis» den Weißkohl (Brassica oleracea) aus der Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae). Er charakterisiert in seinem Werk den Kohl als ein ausgezeichnetes Gemüse, mit dem so einigen Krankheiten zu Leibe gerückt werden kann. Die noch heute wildwachsende Urmutter aller Kohlsorten (Brassica oleracea) wurde im Laufe der Zeit durch die verschiedensten Kreuzungen in unterschiedliche Sorten kultiviert, wie etwa Rotkohl, Rosenkohl, Kohlrabi, Wirsing, Chinakohl, Blumenkohl oder Brokkoli. Zudem waren die Römer der Überzeugung, dass Kohlgerichte in Kombination mit Alkohol den morgendlichen Kater verhinderten. Auch Salat oder die Pastinake stand bei den Römern zu therapeutischen Zwecken in hohem Ansehen. Der römische Feldherr und spätere Kaiser Tiberus lernte die Pastinake bei seinen Eroberungen während der Germanenkriege kennen und brachte sie nach Rom. Aus diesem Grunde wird die Pastinake auch heute noch als Germanenwurzel bezeichnet. Tiberius schwor auf die gesundheitsfördernde Wirkung der Pastinake - einer Kreuzung aus Möhre und Petersilienwurzel - als harntreibendes Mittel. Darüber hinaus bauten die Römer öffentliche Bäder: Wegweisend hierfür ist vor allem Antonius Musa, auch als «Kneipp der Römer» bekannt, der sich bereits mit Kaltwasserkuren und Heilpflanzenbädern beschäftigte.

Untergang des römischen Reiches

Mit dem Zusammenbruch des römisches Reiches und den Unruhen zur Zeit der Völkerwanderung gingen große Teile des medizinischen Wissens verloren. Zudem verdrängte die Ausbreitung des Christentums viele als «heidnisch» abqualifizierte Bräuche. Selbst die Giftpflanze Tollkirsche (Atropa belladonnaI) wurde als Teufelswerk interpretiert, obgleich ihr Wirkstoff Atropin noch heute in der Medizin verwendet wird. Überraschenderweise waren es dennoch die Klöster, die die Pflanzenheilkunde wieder aufleben ließen. So lag zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert die gesamte medizinische Versorgung Europas in den Händen der Klöster. Wichtig für die medizinische Entwicklung war die Reichsverordnung Kaiser Karls des Großen (747 bis 814). Er erkannte die Bedeutung der Klostergärten und machte zum Gesetz, dass Klöster und Städte Nutzgärten anlegen mussten. In seiner Verordnung «Capitulare de villis et curtis imperialibus» gibt er detaillierte Anweisungen über die beim Anbau zu verwendenden Obstsorten, Heil- und Gewürzpflanzen. Vor allem die Benediktiner beschäftigten sich mit der Pflanzenheilkunde. Aber auch Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des medizinischen Wissens. Viele Menschen sind heute noch von ihren Anregungen zum Thema Ganzheitsmedizin beeindruckt.

Gutenbergs Buchdruck

Aufgrund der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gensfleisch von Sorgenloch (um 1400 bis 1468), genannt Gutenberg, erschienen viele nennenswerte Kräuterbücher, wie etwa das «Hortus sanitatis» von Peter Schöffer, das «Contrafayt Kreuterbuch» von Otto Brunfels, das «New Kreuterbuch» von Leonhart Fuchs oder das «Kreütterbuch» von Hieronymus Bock. Während der Barockzeit verfasste auch Jakob Theodor Tabernaemontanus (1522 bis 1590) ein außergewöhnliches Buch. Es ist ein wunderschön illustriertes Werk, das über dreitausend Pflanzenbeschreibungen enthält. Ferner erlebte die Heilpflanzenkunde mit dem Erscheinen weiterer Kräuterbücher von Pier Andrea Mattioli (1501 bis 1577), Andrea Cesalpino (1519 bis 1603) und Adam Lonitzer (1528 bis 1586) einen nachhaltigen Aufschwung.

Im Jahr 1493 erblickte in Einsiedeln ein Mann das Licht der Welt, der später unter dem Namen Paracelsus bekannt werden sollte. Seine Fähigkeiten übertrafen die vieler anderer Heilkundiger. Der Arzt, Naturforscher und Philosoph suchte hauptsächlich nach der Seele der verschiedenen Kräuter. Er sah sie stets als Wesen an und bemühte sich, Zusammenhänge zwischen dem äußeren Erscheinungsbild eines Gewächses und seiner Heilwirkung zu erfassen. So schrieb er: «In jeder Pflanze wohnt ein Geist inne, der eine große Kraft verbirgt, die von der Materie nur festgehalten werde. Doch kann man, wenn man die Gewächse an ihrem Erscheinungsbild erkenne, auf deren Heilkräfte schließen.» Aus dieser Sichtweise heraus entwickelte er die Signaturenlehre.

Erste wissenschaftliche Errungenschaften

Zwischen 1803 und 1805 gelang es dem deutschen Apotheker Friedrich Wilhelm Adam Sertürner (1783 bis 1841), aus dem im Schlafmohn enthaltenen Opium das Morphin zu isolieren. Später wurde von den französischen Wissenschaftlern Pierre Joseph Pelletier (1788 bis 1842) und Joseph Bienaimé Caventou (1795 bis 1877) das Chinin aus der Chinarinde im Kampf gegen die Malaria entdeckt. Hierfür wurden die beiden Wissenschaflter von der Académie des Sciences mit einem nicht unerheblichen dotierten Preis ausgezeichnet. Im Jahr 1905 gelang es dem deutschen Chemiker Alfred Einkorn, aus dem süchtigmachenden Lokalanästhetikum Kokain, das Procain zu isolieren, aus dem er später das Medikament Novocain ableitete. (Lesen Sie dazu mehr in unserem Artikel «Krank durch Zahnherde»). In der Mitte des 1800 Jahrhunderts führte der Arzt und Botaniker Carl von Linné (1707 bis 1778) die «binäre Nomenklatur» ein. Eine Klassifizierung von zwei Begriffen gibt den Pflanzen jeweils einen Gattungs- und Beinamen in lateinischer und griechischer Sprache. Diese moderne Klassifikation aus dem Reich der Pflanzen- Tier- und Mineralwelt ist noch heute die gültige Fachsprache unter Wissenschaftlern. Als ein weiterer Wendepunkt ist das Jahr 1865 zu nennen: Der Augustinerpater Johann Gregor Mendel (1822 bis 1884) benutzte Erbsen und Bohnen, um an ihnen die Gesetze der Vererbung zu studieren. Auf seiner «Mendelschen Vererbungslehre» beruht heute letztendlich die moderne Wissenschaft der Genetik.

Zurück zur Natur

Neben den vielen neuen wissenschaftlichen Errungenschaften überdauerte die jahrtausendealte Lehre von der Wirksamkeit der Heil- und Kräuterpflanzen bis in die heutige Zeit. Vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts ließ der Wörishofener Pfarrer Sebastian Kneipp (1821 bis 1897) mit seinen Wasser- und Pflanzenanwendungen die altbewährte Heilkunde wieder aufleben. Auch der Schweizer Pfarrer Johann Künzle (1857 bis 1945) zählt zu den Wegbereitern der modernen Phytotherapie. Als Priester arbeitete er oft in abgelegenen Schweizer Berggemeinden, wo die Menschen - weit weg von Krankenhäusern und Arztpraxen - auf medizinische Selbstversorgung angewiesen waren. Johann Künzle sammelte bewährte Rezepte alter Hausmittel und kombinierte diese mit seinen praktischen Erfahrungen. Im Jahr 1911 veröffentlichte er erstmals sein Buch «Chrut und Uchrut». Dieses Nachschlagewerk zu Kräuter-Hausmitteln, das inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt wurde, hat bis heute eine Auflage von über zwei Millionen erreicht. Der Begriff «Phytotherapie» selbst wurde schliesslich von dem französischen Arzt Henri Leclerc (1870 bis 1955) eingeführt und bezeichnet die naturwissenschaftliche Fortsetzung der Heilkunde früherer Zeiten. Die phytotherapeutischen Arzneien werden im Gegensatz zur Homöopathie nicht potenziert, sondern die gesamte Pflanze oder Teile davon verwendet. Häufig stellt man daraus Trockenextrakte, Tinkturen, Pressäfte und ätherische Öle her. Die Phytotherapie ist aus der alten Kräutermedizin entstanden, das Wissen und die Erfahrungen dieser Heilkunde wurde von Ärzten und auch in Klöstern bewahrt. (Lesen Sie dazu mehr in unserem Artikel «Geschichte der Klosterheilkunde - die Apotheken der Besitzlosen»).

Weiterführende Literatur!

Die Nachfrage nach pflanzlichen Arzneimitteln steigt seit Jahren, gerade aufgrund guter Verträglichkeit und geringer Nebenwirkungen. Ob man als Arzt, Apotheker oder Heilpraktiker mit Phytotherapie behandelt oder berät: Mit "Phytotherapie" erwirbt der Leser die notwendige phytotherapeutische Fachkompetenz! Wissenschaftlich fundiert (entsprechend der HMPC-Monografien) und in täglicher Praxis erprobt, findet man hier:

  • Detailliertes Wissen zu Pflanzeninhaltsstoffen, Drogenextrakten und Arzneitees
  • 126 Steckbriefe der wichtigsten Arzneidrogen
  • 250 hochwertige Farbfotos von Arzneidrogenrogen und den dazugehörigen Pflanzen
  • Praxistaugliche Behandlungskonzepte zu den wichtigsten Krankheitsbildern inkl. Ätiologie und Pathophysiologie

Hinzu kommen arzneimittelrechtliche Aspekte sowie die Abgrenzung von Phytopharmaka zu Nahrungsergänzungsmitteln. Benutzerfreundlich und didaktisch hochwertig aufbereitet mit übersichtlichen Grafiken und Mindmaps, dient "Phytotherapie" als ideales Lehrbuch und Nachschlagewerk.

Phytotherapie
Arzneidrogen - Phytopharmaka - Anwendung
von Margret Wenigmann

Gebundene Ausgabe: 522 Seiten
Verlag: Urban & Fischer

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