«We feed the world»

«We feed the world» ist ein Dokumentarfilm von Erwin Wagenhofer über Ernährung und Globalisierung. Ein Film über den Mangel im Überfluss.

Die Dokumentation gibt in imposanten Bildern Einblicke in die Produktion von Lebensmitteln sowie Erkenntnisse darüber, was der Hunger auf der Welt mit uns allen zu tun hat. Wagenhofers Streifzug durch die globale Gemüse- und Tierproduktion zeigt in beeindruckender Weise, wie mit Nahrung umgegangen wird, wertvolle Ressourcen sinnlos verbraucht werden und wie gewinnorientierte Konzerne darüber denken.

Tonnen von Brot landen auf den Müll

«Wir ernähren die Welt» beginnt mit Bildern von immensen Brotbergen, die in Wien tagtäglich auf dem Müll entsorgt werden. Diese durchaus noch genießbaren Backwaren könnten die gesamte Bevölkerung der Stadt Graz ernähren. Gleichzeitig hungern und sterben rund um den Erdball Millionen von Menschen. Die Gründe hierfür liegen vor allem in wirtschaftlichen Interessen, die vor soziale und auch ökologische Notwendigkeiten gestellt werden. Verursacher und gleichzeitig Nutzniesser dieser schwerwiegenden Probleme sind in erster Linie einflussreiche global und national agierende Großkonzerne und nicht die Volkswirtschaften der Nationen, die sich allerdings trotzdem oft mit den Folgekosten eben dieser Probleme konfrontiert sehen.

Tomaten in und aus Spanien

Ausgehend von Wien begibt sich Wagenhofer an die Produktionsstätten der südspanischen Region Almeria, eine Landschaft verpackt in einem Meer aus Plastik, unter dem Obst und Gemüse angebaut werden. Jährlich werden dort in Gewächshäusern 2,8 Millionen Tonnen Obst und Gemüse, vor allem Tomaten hergestellt. Neben einem hohen Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln kommt es inzwischen auch immer häufiger zu Wasserknappheit, eine Folge falscher Bewirtschaftung, die von der EU sogar noch durch Fördermittel ausgeglichen wird. Ein Teil des von der EU im großen Stil produzierten Obst und Gemüse wird dann auf afrikanischen Märkten zu Billigstpreisen angeboten. Durch die Subventionierung der Landwirtschaft in den Industriestaaten wird sich in erster Linie an den vergebenen Exportprämien orientiert. Es kommt zur Überproduktion mit Warenabsatz in den Entwicklungsländern. Die einheimischen Bauern dort können dadurch ihr selbst angebautes Gemüse nicht mehr verkaufen und  stehen vor dem Ruin. In ihrer eigenen Existenz bedroht, fliehen wiederum viele Schwarzafrikaner nach Spanien, um auf den Plantagen von Almeria für niedrige Löhne und unter miserablen Bedingungen zu arbeiten.

High-Tech-Pflanzen

Wagenhofer begleitet den damaligen Produktionsdirektor von Pioneer (weltgrößter Saatguthersteller) und jetzigen Rentner Karl Otrok, der die tradtionell arbeitenden Bauern in Rumänien hinsichtlich High-Tech-Landwirtschaft und Hybrid-Saatgut aufklärt: «We fucked up our agriculture in the west..». Er gibt zu Verstehen, dass Leben und Gesundheit von Mensch und Tier in diesem industriellen System keinen Stellenwert mehr besitzt. Heute ist vor allem wichtig, dass Gemüse aus Hybridsaatgut ein schönes und ansprechbares Aussehen hat, der Geschmack dagegen spielt  keine Rolle mehr. Da aus diesen High-Tech-Pflanzen kein weiteres Saatgut gezogen werden kann, geraten die Bauern in die Falle der Abhängigkeit. Während eines Fluges über den brasilianischen Regenwald von Mato Grosso erklärt Otrok, wie Waldflächen systematisch durch Brandrodung vernichtet werden, um Sojapflanzen als Futtermittel für die Tierproduktion in Europa anzubauen. Brasilien ist derzeit der weltgrößte Sojaexporteur. Unmengen von Sojapflanzen breiten sich dort aufgrund des auf Fleisch getrimmten Wohlstandshungers der westlichen Welt aus, während gleichzeitig ein großer Anteil der Menschen im Lande unter Hunger, Durst und Armut leiden.

Hunger und Durst! Wasser und wem es gehört

Die Kapitel des Films werden durch Interviews mit dem UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, Jean Ziegler, kommentiert und untermalt: «Die Weltlandwirtschaft könnte ohne Probleme 12 Milliarden Menschen ernähren. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet». Am Ende des Filmes kommt Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe von Nestlé mit konträren Stellungnahmen zu Wort: «Nahrungsmittelproduktion ist ein Geschäft ...» oder «Wasser ist ein Lebensmittel und so wie jedes andere Lebensmittel auch, sollte das einen Marktwert haben." Besonders unangenehm und eindringlich gehen diese Aussagen deshalb unter die Haut, da zuvor brasilianische Kinder gezeigt wurden, die aufgrund ihrer Armut dazu gezwungen sind, verseuchtes Wasser aus verschmutzten Wasserlöchern zu trinken. Nestléchef Peter Brabeck-Letmathe selbst sieht seine soziale Verantwortung darin, durch Profitmaximierung seinen Konzern und damit auch die Arbeitsplätze zu erhalten. Er betrachtet die globalen Probleme als lösbar und plädiert für eine positive Einstellung. Ein Mangel an Wasser trifft vor allem die Schwachen und die Armen. Sauberes Wasser zum Trinken ist derzeit in Ländern wie beispielsweise Pakistan oder Brasilien bei weitem keine Selbstverständlichkeit. Aufgrund schlechter Infrastruktur wird Wasser aus Flüssen dort nicht gereinigt. Durch vorherrschende Armut werden immer mehr Menschen von der Trinkwasserversorgung ausgeschlossen. Die Gründe hierfür liegen oft darin, dass private Anbieter, meist international agierende Firmen wie Nestlé und Co., nur die Zahlungskräftigen an den Wasserhahn lassen. In dem seit 2000 jährlich stattfindenden Weltwasserforum wird seit Jahren diskutiert, ob Wasser «privatisiert» werden dürfe oder der Zugang dazu ein «Grundrecht» des Menschen sei, das die Staaten zu gewährleisten hätten. Wäre der Zugang zum Wasser als Menschenrecht in der UN-Menschenrechtscharta verankert, müßten die Staaten entsprechend ihre Einwohner mit Wasser versorgen.

Produktionszyklus «Huhn»

Zum Abschluss seiner Dokumentation führt Erwin Wagenhofer die Absurdität der industriellen Nahrungsmittelproduktion von heute vor. So schlüpfen Küken in modernen hochtechnisierten Anlagen im Brutschrank, werden auf dem Fließband von Hand aussortiert und landen schließlich in sauberen Kästen. Im zweiten Produktionsschritt der noch lebenden Ware kümmert sich der Hühnerzüchter die nächsten Wochen um die Aufzucht. Damit sie üppig und schnell wachsen, gibt es reichlich ausgestreutes Futter und Flüssigkeit, die aus kleinen Leitungen gesaugt werden kann. Nach etwa sechs Wochen gelangen die Tiere per Fließband direkt zur Schlachterei. Dort werden sie lebendig mit den Füßen nach unten an Haken aufgehängt. Die Tiere werden in einem Wasserbad durch Stromschlag betäubt und anschließend wird ihnen mit automatischen Messern die Kehle durchtrennt. Im High-Tech-Verfahren wird das Produkt dann gereinigt, zerteilt und supermarktfertig verpackt. Jährlich werden in Österreich etwa 45 Mio. Hühner bei 8 Millionen Einwohner geschlachtet. In Deutschland müssen pro Jahr etwa 400 Millionen Tiere ihr Leben lassen.

Der Verbraucher ist gefragt

Am Ende des Filmes ist der Verbraucher nun vor allem selbst gefragt: Unterstützt er durch seine Nachfrage weiterhin die skrupellosen Methoden der heutigen (Agrar- und Lebensmittel-) Industrie, werden die im Film gezeigten Probleme sicherlich nicht aus der Welt verschwinden. Es steht im Gegenteil zu befürchten, daß das gravierende, weltweit bestehende Missverhältnis zwischen Reich und Arm noch größer werden, die Zerstörung der natürlichen Ressourcen unseres Planeten noch schneller fortschreiten und die Welt, die wir den kommenden Generationen hinterlassen, kaum mehr als lebenswert zu bezeichnen sein wird. Die an diesen Entwicklungen beteiligten Konzerne sind zwar inzwischen aufgrund ihrer globalen Präsenz, ihrer finanziellen Ausstattung und ihres großen Einflusses auf Politiker in aller Welt sehr mächtig, sie werden jedoch auch in Zukunft nicht an uns, den Verbrauchern vorbeikommen, wenn sie ihre Produkte weiterhin verkaufen wollen. Wir sind es letztendlich, die es in der Hand haben, ob weiterhin die Regenwälder in Mato Grosso abgebrannt und durch Soja-Monokulturen ersetzt werden, ob Millionen von Hühnern industriell aufgezogen und mit eben diesem Soja als Futter "schnell und billig" produziert werden, weil der Verbraucher offenbar nicht mehr bereit ist, für qualitativ hochwertige Lebensmittel Geld auszugeben. Werden wir uns also nicht bald von dieser "Geiz-ist-geil" Mentalität lösen, für einen ersten Anfang wenigstens dort, wo es um unsere eigene Ernährung, Gesundheit und Umwelt geht, dann hat die Industrie den Kampf um die Zukunft mit all den im Film gezeigten (und wahrscheinlich weiteren und schlimmeren) Konsequenzen für Natur, Tier und Mensch bereits gewonnen.

Denn nicht sie, sondern «We feed the world»...

Text:TerraNova Verlag, Oberaudorf, Redaktion: forum-naturheilkunde.de / Annette Weinzierl - August 2006

Weiterführende Literatur!

WE FEED THE WORLD ist das Buch des Filmemachers Erwin Wagenhofer zu seinem gleichnamigen Film. Hier informiert er über Überernährung, Überproduktion und Überbevölkerung, liefert die Hintergründe zu EU-Subventionen, Nahrungsmittelskandalen, Hunger und Dürre. Und er erzählt die Entstehung des Films WE FEED THE WORLD - der im April 2006 in die deutschen Kinos kam.

We feed the world
Was uns das Essen wirklich kostet
von Erwin Wagenhofer

Taschenbuch: 192 Seiten
Verlag: orange-press