Medizin aus dem Mittelalter: Wichtige Erkenntnisse und Überlieferungen
Im Mittelalter war man davon überzeugt, dass Ärzte lediglich Diener der Natur seien und ein gesunder Körper maßgeblich vom Gleichgewicht der Körpersäfte abhing.
Hippokrates von Kos, der die Medizin zur Wissenschaft erklärte und im Altertum der bekannteste Arzt darstellte, sowie des griechischen Arztes Galenos prägten in erster Linie religiöse Gemeinschaften die damalige medizinische Entwicklung. Mönche und Nonnen pflegten Kranke aus Nächstenliebe und griffen dazu auf die Säftelehre zurück, die von Hippokrates und Galenos entwickelt wurde. Später stieg die Bedeutung von Heilkräutern zur Behandlung von Kranken stark an. Bis heute spielen die Überlieferungen eine große Rolle im Rahmen der Naturheilkunde. Ein Einblick in die Geschichte.
Die Säftelehre
Die Körpersäfte spielten im Mittelalter eine zentrale Rolle in der Medizin. Die Ärzte gingen davon aus, dass die Gesundheit direkt von ihnen abhing. Nur wenn die folgenden vier Körpersäfte im Gleichgewicht waren, war ihrer Meinung nach Gesundheit möglich:
- Blut
- Schleim
- Gelbe Galle
- Schwarze Galle
Laut den Medizinern waren die Körpersäfte für die Regelung des Stoffwechsels, den Gemütszustand und das Verhältnis von Trockenheit und Feuchtigkeit sowie Wärme und Kälte im Körper verantwortlich. Gerieten die Körpersäfte aus dem Gleichgewicht wurden die Menschen beispielsweise in Bezug auf den Gemütszustand entsprechend eingestuft. Wer ein Übermaß an Gelbgalle vorzuweisen hatte, wurde als Choleriker bezeichnet und bei zu viel Schwarzgalle hieß es die Betroffenen seien melancholisch. Hinsichtlich Erkrankungen entwickelten sich aus der Überzeugung, dass nur eine Wiederherstellung der Balance zwischen Blut, Schleim, Gelbgalle und Schwarzgalle zur Gesundheit führen konnte, diverse Diäten. Diese wurden als Lösung betrachtet, um den Körper von Giften zu befreien und zu reinigen. Beim Reinigungsprozess ging es darum, ungesunde Säfte aus dem Körper zu verbannen. Dabei wurde stets eine ganzheitliche Behandlung bevorzugt und nicht nur die betroffenen Körperregionen betrachtet.
Methoden im Rahmen der Säftelehre
Um Menschen nach der Säftelehre zu heilen, kamen verschiedene Methoden zum Einsatz. Um den Körper von den vermeintlich giftigen Stoffen zu befreien, wurden unter anderem die in der folgenden Tabelle dargestellten Vorgehensweisen eingesetzt:
Bezeichnung | Erläuterung |
Aderlassen | Das Aderlassen wurde bis in das 19. Jahrhundert angewandt und bezeichnet das Abnehmen von Blut. Teilweise wurden erhebliche Mengen entfernt. Die Behandlungsform beruht auf der altertümlichen Ansicht, dass Blut im Körper verderben könnte und deshalb abgeführt werden muss. Heute weiß die Medizin, dass Aderlass nur selten hilft. |
Purgieren | Hiermit ist die Darmentleerung gemeint. Um diese zu fördern, kamen verschiedene Abführmittel zum Einsatz. Man griff auf pflanzliche Mittel wie Knoblauch, Sellerie, Aloe, Ingwer und Wermutkraut zurück. |
Erbrechen | Auch das absichtlich herbeigeführte Erbrechen war eine vielgenutzte Methode, um giftige Säfte aus dem Körper zu leiten. Auch hier fand pflanzliche Medizin wie die Brechwurzel Verwendung. |
Erweiterte Kenntnisse durch Hildegard von Bingen
In Bezug auf die Medizin des Mittelalters nimmt Hildegard von Bingen einen wichtigen Platz ein. Sie war gebildet, emanzipiert und als eine der ersten Kräuterkundlerinnen sowie Wissenschaftlerinnen bekannt.
Geboren 1098 kam sie bereits als Kind in ein Kloster. Später gründete sie selbst ein Kloster und schrieb ihr Wissen für die Nachwelt auf. In ihrem Buch „Causae et curae“ fasste sie ihr Wissen über Kräuter und damit einhergehende Behandlungsformen nieder.
Durch die Kombination mit ihrem Heilkräuterwissen schaffte sie eine neue Art von Volksmedizin. Neben Kräutern und Heilpflanzen sah sie Gewürze als wirkungsvolle Helfer zur Heilung.
Wie die DeGiN-Expertenredaktion des unabhängigen Erkältungsportals erkaeltet.info in einem Fachbeitrag zur mittelalterlichen Medizin zusammengefasst hat, beschreibt Hildegard von Bingen in ihren Schriften ein Grippepulver, das zur Heilung von Virusinfektionen herangezogen wurde.
„Hergestellt wird es aus Pulver vom Kranichschnabel, einer bestimmten Pelargonien-Art, Bertram Pulver – bei Bertram handelt es sich um eine kamillenähnliche Heilpflanze – und Muskatnuss“, so die Redaktion.
Verarbeitet in Brot soll das Gewürzpulver gegen Schnupfen, Husten, Heiserkeit und weitere Symptome geholfen haben. Galgant, Bertram, Ingwer und viele andere Gewürze kamen bei von Bingen gerne zum Einsatz.
Doch besondere Aufmerksamkeit widmete Hildegard von Bingen Bertram und Galgant. Während Galgant durchblutungsfördernd sein und Verstopfung sowie Magenbeschwerden lindern soll, beeinflusst Bertram die Verdauung allgemein positiv. Zwar konnten sich im Rahmen der modernen Medizin nicht alle Übermittlungen der Kräuterkundlerin als nützlich erweisen, doch einige Methoden sind durchaus effektiv.
Der größte Bestandteil des damals verwendeten Grippepulvers war Pelargonie. Dieses Storchschnabelgewächs ist bis heute als extrem wirksame Heilpflanze verbreitet. Ihr positiver Einfluss kommt den Schleimhäuten in den Atemwegen und dem Immunsystem zugute. Viren und Bakterien können sich dank des natürlichen Wirkstoffs weniger gut in den Schleimhäuten festsetzen.
Aktuell verwenden einige Unternehmen das Wissen von Hildegard von Bingen zur Herstellung von naturheilkundlichen Produkten. Im folgenden Video erklärt unter anderem Mag. pharm. Patrick Posch wie ihre Überlieferungen von der Firma St. Hildegard-Posch genutzt werden. Außerdem gewährt es Einblicke in die Arbeit des Vereins "Bund der Freunde Hildegards", der sich seit 1976 mit der Thematik auseinandersetzen:
Forscher studieren die Klostermedizin
Rund 500 Jahre dauerte die Ära der Klostermedizin. Doch nicht alles, was die Ordensbrüder und Nonnen damals schriftlich notierten, ist korrekt. Da Pergamente knapp waren und der Buchdruck längst noch nicht entwickelt war, wurden die Schriften mehrfach kopiert. Fehler waren vorprogrammiert. Viele Rezepte wurden verfälscht, Pflanzen verwechselt und Schreibfehler sorgten für Verwirrung. Hinzu kam, dass durch die Verbreitung der Schriften und die Tatsache, dass es mancherorts verwendete Kräuter und Heilpflanzen gar nicht gab, diverse Zutaten durch regionale Angebote ersetzt werden mussten. Viele Rezepte sind skurril und nicht zeitgemäß.
An der Universität Würzburg wurde eine Forschergruppe gegründet, um zu klären, ob aus den Schriften der Mönche womöglich noch wissenswerte Erkenntnisse hervorgehen, die für die heutige alternative Medizin hilfreich sein könnten. Das Erste hat das Thema in der Sendung W wie Wissen aufgegriffen und erklärt unter daserste.de, dass trotz zahlreicher Kräuter, die von der offiziell anerkannten Liste der Heilkräuter gestrichen wurden, noch ausreichend Pflanzen verbleiben würden, welche „neue Einsatzmöglichkeiten versprechen“. In Vergessenheit geratene Wechsel- und Nebenwirkungen durch Heilpflanzen sollen beim Studieren der Überlieferungen ebenfalls aufgefallen sein. Im Beitrag zur Wissenssendung finden Interessenten darüber hinaus Lesetipps zum Thema Klosterheilkunde.
Erfahrungsmedizin: Bis heute im Einsatz
Abseits der Klöster entwickelte sich im Volk eine Art Erfahrungsmedizin. In erster Linie pflegten im Mittelalter die Frauen ihre Kinder, Gatten und anderen Verwandten mit Hilfe von Pflanzen. Neben Erkältungen behandelten sie diverse Wunden. Ihre Erfahrungen gaben sie an die nächste Generation weiter, wodurch sich das heilende Wissen stetig verbesserte und erweiterte. Bis heute dienen die Erkenntnisse aus der Erfahrungsmedizin, die vielmehr als Alternativmedizin bekannt ist, als Grundlage für moderne Naturheilverfahren, Homöopathie und zur Behandlung von Erkältungserscheinung. Die von erkaeltet.info in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage unter 1.002 Bundesbürgern ergab beispielsweise, dass immerhin 76 Prozent Grippen oder Erkältungen mit klassischen Hausmitteln wie Ingwer-Tee oder Inhalationen heilen. Die Bedeutung von Altbewährtem ist demnach auch in Zeiten modernster Medizin groß.
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Weiterführende Literatur!
Es ist ein verborgener Schatz, der längst nicht gehoben ist: die "Traditionelle Europäische Medizin". Der Ganzheitsmediziner Dr. Berndt Rieger erzählt spannend die Entstehungsgeschichte und präsentiert Anwendungsvorschläge und Rezepte, die bis heute nichts von ihrer Heilkraft verloren haben. Der Bogen reicht von der Säfte- und Elementelehre der Mönche, der Heilkunde der Hildegard von Bingen, speziellen Arzneien aus der Kräuterküche bis hin zur Homöopathie und Vorläufern der Schüßler-Salz-Medizin. Ein wahrer Fundus traditioneller abendländischer Heilkunst.
Heilwissen der Mönche und Kräuterhexen
Rezepte und Anwendungen traditioneller Naturheilkunde
von Dr. med. Berndt Rieger
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Nymphenburger